Walter Martin im Dauerregen oder: Wie mir das Sauerland einen neuen Lieblingssongwriter bescherte
Picture by Mallory Barclay
Die letzten Tage habe ich mit meinen Kids auf einem Roadtrip durchs Sauerland verbracht, dem Yellowstone Park von NRW. 😄 Oder zumindest dessen feuchteres, moosigeres Cousinchen. Burgen, Höhlen, Pyramiden (!). Und Regen. Viel Regen.
Zwischen matschigen Waldparkplätzen und überraschend dramatischer Mittelgebirgs-Romantik ist dann etwas passiert, womit ich nicht gerechnet hatte: Ich bin auf Walter Martin gestoßen.
Ich saß am Steuer, Google-Maps hatte wieder irgendeinen Forstweg zur Hauptstraße erklärt, die Kinder hinten tief im iPad-Modus versunken und plötzlich läuft da dieser Song: „I Went Alone on a Sole Australian Tour“, von Walter Martin. Was für ein Song bitte?! So leichtfüßig charmant, so beiläufig witzig, dass ich plötzlich grinsen musste.
Neugierig geworden, lande ich am Abend bei Martins NPR Tiny Desk Concert, und ab da war’s um mich geschehen. Walter Martin, warum hat mir vorher niemand von diesem Typen erzählt?
Turns out: Martin war früher bei The Walkmen, dieser New Yorker Indie-Band, die mit Songs wie “The Rat” und “Heaven” immer zu jeder guten Indieparty gehört haben und auf einmal weg waren. Seit 2014 macht er Solozeug, und zwar so, dass man gar nicht weiß, ob man gerade ein Song oder eine Kurzgeschichte hört.
Seine Texte sind vollgestopft mit Alltagsbeobachtungen, Nebensätzen, überraschenden Bildern. Keine klassischen Strophen-Refrain-Strukturen, stattdessen Monologe mit Gitarre, gesungene Tagebucheinträge, halbironische Manifeste über das Vatersein, Älterwerden, Überleben in einer Welt, die jeden Tag ein bisschen absurder wird.
Reminisce Bar & Grill, sein viertes Album, hat es mir besonders angetan. Vielleicht weil Walter es selbst als sein „Mid-Life-Crisis-Album“ bezeichnet. Vielleicht weil ich selbst nicht mehr 25 bin. Vielleicht aber auch, weil es diese spezielle Stimmung einfängt: melancholisch, aber nicht deprimiert. Nostalgisch, aber nie rückwärtsgewandt.
Die Songs klingen, als hätten sich Randy Newman, Silver Jews und ein gut gelaunter Jonathan Richman in einer leicht heruntergekommenen Kneipe verabredet, um über Kindergartenausflüge, Existenzängste und Körpergeruch zu sprechen und dann einfach weitergemacht.
„I Can Run Now from the Hellhounds But I Can’t Hide“ ist so ein Song: Joggen als Metapher fürs emotionale Davonlaufen, irgendwo zwischen Lebenskrise und verschwitztem Bob-Marley-Shirt. Und ja, das funktioniert. Auch, weil Walter nie den Fehler macht, sich selbst zu ernst zu nehmen.
Oder eben dieser besagte Australien-Song: „I Went Alone on a Sole Australian Tour“, die Story einer tatsächlichen Reise, voller Einsamkeit, Euphorie, Erschöpfung und Erkenntnis. Keine große Moral, kein Pathos, einfach jemand, der erzählt, wie’s war. Und das reicht.
Mein persönlicher Favorit auf dem Album ist „Me & McAlevey“. Eine stille Hymne auf Freundschaft, warm und unspektakulär. So unspektakulär, dass man es fast übersieht. Bis man merkt, wie lange der Song im Kopf bleibt. (Den Song spielt er übrigens auch beim NPR Tiny Desk Concert!)
Das Faszinierende an Walter Martins Musik ist, dass sie dich unauffällig erwischt. Sie schreit nicht, sie prahlt nicht. Sie lächelt schief, schüttet dir ein Glas Wein ein und erzählt dir, was gestern beim Abendessen mit den Kids passiert ist. Und ehe du dich versiehst, denkst du über dein eigenes Leben nach.
Übrigens: Sein erstes Soloalbum We’re All Young Together war ein Kinderalbum. Im Ernst. Voller Songs für Kids, aber so clever, ironisch und liebevoll gemacht, dass man auch als Erwachsener dran hängenbleibt. Unterstützung gab’s von Karen O, Matt Berninger und Nick Zinner. Ein Kindergarten mit verdammt guter Besetzung.
Seitdem sind seine Platten erwachsener geworden, introspektiver, komplexer. Aber die Sprache, der Humor, die genauen Beobachtungen, die sind geblieben. Walter Martin schreibt Songs wie andere Leute Essays schreiben sollten.
Hätte mir jemand gesagt, dass ich bei 12 Grad und Dauerregen im Sauerland meinen neuen Lieblingssongwriter entdecken würde, ich hätte laut gelacht. Aber hey: Danke, Algorithmus. Und danke, Walter.
Outro: Zum Schluss möchte ich euch gerne noch den Podcast von Walter Martin ans Herz legen! WALTER MARTIN RADIO ist ein wöchentliches Radioprojekt und Substack‑Format in dem er ausgewählte Vinylplatten spielt, begleitet von persönlichen, teils tiefgründigen, teils augenzwinkernden Kommentaren rund ums Musikleben. Das Projekt ist komplett hörer- und abonnentenfinanziert, handgemacht und erscheint (ungefähr) alle zwei Wochen mit neuen Episoden, die über ungewöhnliche musikalische Schätze bis persönliche Lebensgeschichten reichen.
Unbedingt entdeckungs- und hörenswürdig!